Skurril. Das ist so ziemlich das erste, was den meisten von uns beim Erstkontakt mit dem Steiner Ultra Fat Fully einfallen dürfte. Die Proportionen, die armdicken Rohre, der riesige Motor – so bekannt und doch so fremd. Bei zumindest den alten Hasen unter uns dürfte sich unmittelbar danach ein Gefühl der Vertrautheit einschleichen. Irgendwo her kenn ich das Ding. Irgendwo her… Wir haben uns das Steiner Ultra Fat Fully jedenfalls mal näher angeschaut und einige spannende, beeindruckende aber auch sehr eigenwillige Punkte entdeckt. Und versucht eine Antwort zu finden, ob diese über 1kW starke Boden-Boden Rakete überhaupt noch ein FATBike ist.
Timeshift – 1990

Fette Alurohre. So war das damals. Und ist es heute!
Beginnen wir mit der Bekanntschaft. Das Steiner Ultra Fat Fully kommt uns bekannt vor, weil es einer uralten Mountainbike Familie entstammt: Votec. Hände hoch – wer erinnert sich? Das eigenwillige Design aus fast schon obszön überdimensionierten Alurohren, wuchtigen Ausfallenden und monströsen Doppelbrückengabeln hat den Trend zum „Oversizing“ auf die Spitze getrieben. 1990 gegründet, hat Votec mit seinen 63 Mitarbeiter bis zu 4.000 Bikes im Jahr gebaut.
Das ist zwar inzwischen Geschichte, der kreative Kopf hinter Votec, Jürgen Steiner, ist jedoch quicklebendig! Anstatt in den Geschichtsbüchern zu verschwinden hat er mal eben das größte, schwerste, stärkste, teuerste, aufwändigste, verrückteste und ein Stück weit auch innovativste eFATFully am Markt entwickelt.
Bier auf, hinsetzen. Es wird krass!

Kraftklotz von Bafang
Packen uns mal die technischen Daten. Und hier gibt’s einiges zu verdauen. Die Leistung. 1kW. 1.000 Watt. 1,36 PS. Und dazu 120Nm. Die kaum fassbaren 30kg – ja, dreißig – fallen da, Achtung Wortwitz, kaum in’s Gewicht. Der gigantische 1.180Wh Akku verteilt sich auf zwei getrennte Zellblöcke, die jeweils diebstahlsicher im Ober- und Unterrohr residieren und über eine Wartungsklappe im Steuerrohr leicht erreichbar sind. Ein 450Wh Zusatzakku ist ebenfalls vorgesehen. Anders als bei anderen Systemen lädt dieser aber nicht erst den Hauptakku, sondern treibt den Motor direkt an. Der entsprechende Umschalter befindet sich leicht zugänglich am Motor. Akku und Rahmen werden übrigens, genauso wie das gesamte Bike, in Deutschland gebaut!

Wartungsluke im Steuerrohr
Der nächste Superlativ ist der Federweg – mächtige 170 mm an Bug und Heck der Rakete reichen aus um unbemerkt ein mittleres Haustier zu überfahren. Wem sich hier zum ersten Mal die Frage aufdrängt, ob wir es hier eigentlich noch mit einem Bike oder schon mit einem Mopped zu tun haben, dem seien noch zwei Dinge an die Hand gegeben. Neben dem Pedelec Modus kann auch über einen Daumenschalter am Lenker Gas gegeben werden. Und dann wäre da die Endgeschwindigkeit, die – beim Testbike natürlich auf gesetzeskonforme 45km/h gezügelt – leicht in Bereiche um oder über 70km/h vordringen dürfte.
Motocross DNS

Souverän. Made bei Sram
Beim Antrieb baut Jürgen auf Bafang Technik. Das verbaute System kennen wir in ähnlicher Form schon vom Silverback S-Elektro, wobei Jürgen erheblich mehr Pferde auf die Weide lässt. Die Anlieferung der Urgewalt ans Hinterrad übernimmt eine Sram EX1 e-Bike Schaltung. Dass deren 8 Gänge grob gestuft sind und man immer nur einen Gang am Stück schalten kann – geschenkt. Das Zeug packt selbst bei Vollgas und maximal rücksichtslosem Schalten weiche Gangwechsel. Respekt, Sram! Das muss man erstmal so sauber verschliffen hinbekommen!

Stabil wie ein Felsen, weich wie ein Sofa. Perfekt!
Beim Fahrwerk kommt Jürgens ausgiebige Expertise im Motocross zum Tragen. Insbesondere die FATte, stufenlos absenkbare Doppelbrücken Federgabel samt ihrer Luftdämpfung ist ein Sahnestück. Da wir diese Gabel demnächst im Detail testen werden, halten wir uns hier jedoch kurz: das Fahrwerk weiß in jeder, wirklich jeder Lebenslage zu überzeugen und kontrolliert jeden beliebigen Untergrund mit spielender Leichtigkeit. Nur zu gern würden wir das mal an einem konventionellen Fatty mit aggressiver Geometrie testen. Gibt es aber leider nicht…
Das Steiner Ultra Fat Fully – der rasende Elefant
Da jedes Steiner Ultra Fat Fully ein nach Kundenwunsch gefertigtes Einzelstück ist, lassen wir die Ausstattung in diesem Test außen vor. Jürgen verbaut weitgehend, was der Kunde oder die Kundin wünscht. Springen wir also direkt zum Fahrverhalten.

Auftanken sollte man natürlich zu Hause!
Und hier, um es vorweg zu nehmen, beginnt der nachdenkliche Teil. Der Motorcross-Eindruck verstärkt sich beim Aufsteigen. Der Lenker ist wirklich extrem hoch und der Reach gefühlt sehr kurz aus. Positiv gesagt hat man eine gute Rundumsicht auf die Welt, die tief unter einem vorbeizieht. Das ist bequem, uns aber zu Motorrad-mäßig. Wir wollen gar nicht mal sagen, dass das schlecht ist. Auf alle Fälle ist es ungewohnt.

Spielend leicht querdriften
Die Bafang Headunit mit ihrem Vollfarben- und Vollgrafikdisplay dagegen hat einen enorm hohen Unterhaltungswert. Aber das ist nur ein hübsch coloriertes Vorgeplänkel auf das, was passiert wenn man den Daumenhebel aprupt bis zum Anschlag durchreißt. Dann drückt das Bike seinen Hintern Richtung Boden, krallt sich in den Untergrund und zieht dir die Stirn glatt. So brachial geht kein anderes eFatty zur Sache. Die Abstimmung im Pedelec Modus ist angesichts des drastischen Leistungsüberschusses erstaunlich harmonisch. Allerdings haben wir die Kurbeln nur selten benutzt und stattdessen den Daumen die Arbeit machen lassen. Leider konnten wir das volle Potential des Antriebs im Gelände nicht testen, da das Testbike einen vollkommen abgefahrenen Hinterreifen hatte.

Schiebt dich überall rauf!
Das Fahrwerk lässt, wie oben schon angedeutet, keine Wünsche offen. Das Ansprechverhalten ist so cremig als würde man auf ein Stück Sahnetorte fallen. Alles ist steif, nichts verwindet sich und die Dämpfung hält auch die dicksten Auslenkungen souverän im Zaum. Das irre Gewicht gibt aber die Spaßbremse, da das Handling naturgemäß sehr träge ausfällt und Richtungswechsel viel Kraft verlangen. Dennoch: dürfte man das Steiner Ultra Fat Fully legal im Wald benutzen, hätte man damit eine Menge Spaß. Uns standen zum Glück private Strecken zur Verfügung…
Ja, äh nein, äh jain!

Viel High End für’s Geld!
Und das bringt uns zum philosophischen Teil. Was ist das Steiner Ultra Fat Fully überhaupt? Gehen wir es mal auf FAT-Bike.de Art an: es ist ein irres Spaßgerät, mit dem man auf ungewohnt erbarmungslose Weise durch die Welt eilen kann. Für uns persönlich entfernt es sich jedoch ein gutes Stück weit vom FATBike, auch vom e-Fatty. Das ändert zwar nichts an dem fiesen Grinsen, welches dir das Steiner Ultra Fat Full definitiv in’s Gesicht brennen wird. Aber Daumengas, die „motorradige“ Sitzposition und das schwerfällige Handling haben mit dem Abenteuerspielzeug FATBike oder gar dem Sportgerät Mountainbike nur noch entfernt zu tun.

Sowas könnte auch von Nintendo kommen. Herrlich
Und dazu passend wäre dann auch die, zumindest theoretische, Beschränkung im Einsatz. Denn zumindest die uns zur Verfügung gestellte S-Pedelec Version mit 45km/h Höchstgeschwindigkeit darf legal in vielen öffentlichen Wäldern und auf Radwegen nicht bewegt werden. Daran ändert auch die vorbildliche Lichtanlage nichts. Natürlich muss jeder selbst entscheiden, wie und wo er oder sie so eine Waffe einsetzt. Und wir wollen nicht päpstlicher als der Papst sein – für eine umfassende Beurteilung gehört aber auch das dazu. Formal entspricht der eben auch der mögliche Einsatzbereich eher dem eines Motorrades.
Was bleibt?

Sagt irgendwie mehr als 1.000 Worte
Unser Eindruck war selten so gespalten. Das Steiner Ultra Fat Fully kommt definitiv von einem anderen Stern. Allerdings fragen wir uns, ob dieser Stern eigentlich noch in unserer Galaxie scheint. Die Leistung dieses Monsters ist brachial, das gilt sowohl für den mächtigen Antrieb als auch für das konkurrenzlose Fahrwerk. Kurz: wir hatten MÄCHTIG Spaß damit!
Sitzposition, Rahmengeometrie, Bedienung des Antriebs und das enorme Gewicht sind aber vorsichtig gesagt „untypisch“. So ein Steiner Ultra Fat Fully sollte man unbedingt mal selbst ausprobiert haben, gerade WEIL es so anders und so extrem ist.
Aber seine größte Stärke liegt wohl darin, dass es die Welten von Bike und Motorrad verbindet – mit allen Vor- und Nachteilen. Zu guter Letzt zeigt sich das auch im Grundpreis von 8.740,- Euro, für den man sowohl ein High End Mountainbike, aber eben auch schon ein brauchbares Motorrad bekommt. Wer sich also bisher nicht entscheiden konnte, wir hier ganz sicher glücklich!
Und hier zum Abschluss noch eine kleines Video vom Hersteller
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